Die Anforderungen des Kunden klären

Die Anforderungen des Kunden klären

Anforderungen beim Kunden aufnehmen und in einen Projektplan gießen, diese Aufgabe entscheidet häufig über Erfolg oder Misserfolg im Projekt. Wir haben für Sie ein Beispiel und viele Fragen für die Wunschliste des Kunden.

Stefanie Brandt fährt mit ihren Kollegen zu einem zweitägigen Workshop bei einem ihrer Kunden. Thema des Workshops ist die Entwicklung eines Softwaresystems. Der Kunde hat ein völlig neuartiges Kundenbindungsinstrument erdacht, das zum Weihnachtsgeschäft online gehen soll. Stefanies Firma soll die Software dazu entwickeln. Im Workshop will Stefanie mit ihren Kollegen die Anforderungen an das System gemeinsam mit der Marketing- und IT-Abteilung des Kunden erarbeiten.

Das Team ist gut vorbereitet. Schnell sind die Ziele des Vorhabens klar, die wesentlichen funktionalen Merkmale herausgearbeitet sowie die Integration in die bestehende IT-Landschaft grundsätzlich geklärt. Da räuspert sich der Marketingleiter Marcus Sommer: „Ich hab’ da noch ein paar Punkte, die mir wichtig sind. Denken Sie bitte daran, dass wir bei den Auswertungen sowohl volle Flexibilität brauchen als auch eine einfache Bedienbarkeit. So etwa wie bei einem iPad. Außerdem sollen unsere Kunden über eine App ihren Treuestatus abfragen können. Wir wollen das System so offen halten, dass wir vielleicht später weitere Partner in das Programm nehmen können. Und wir möchten, dass die Dialoge alle Informationen übersichtlich bereitstellen, auch in verschiedenen Sprachen. Dann nochmal zu den Treuestufen: Im Prinzip stimmt es schon. Die nächste Stufe wird bei jeweils 1.000 Punkten erreicht. Nur wollen wir auch Ausnahmen zulassen. Die müssen im System abbildbar sein. Am besten über einen regelbasierten Algorithmus, sodass wir da offen sind.“ So geht das noch eine Weile weiter und Stefanie schreibt alles mit.

Überraschende Ergebnisse bei den Anforderungen

Anforderungen der Kunden sind wie Wunschzettel

Zurück im eigenen Büro sortiert das Team die Ergebnisse und stößt dabei auf ein paar ganz und gar nicht überraschende Befunde:

  • Wenn wir alles umsetzen, dann kostet das System dreimal mehr, als im Budget geplant.
  • Allein der regelbasierte Algorithmus wird in einer Größenordnung von 25 % des Volumens liegen.
  • Volle Flexibilität und Einfachheit gehen nicht zusammen. Hier brauchen wir präzisere Festlegungen.
  • In der Verwaltung des Punktestands finden sich logische Widersprüche. Die müssen noch aufgelöst werden.

Wie so viele Analyseteams vorher raufen sich auch Stefanie und ihre Kollegen verzweifelt die Haare ob der bestellten „goldenen Wasserhähne“. Es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe eines Projektleiters, gemeinsam mit dem Auftraggeber, auf Basis der Wunschliste ein System zu spezifizieren und es damit umsetzbar zu machen. Und das wäre auch alles nicht kompliziert, würde sich der Marketingleiter dabei nicht benehmen wie ein enttäuschtes Kind unter dem Weihnachtsbaum, dem nur zwei der elf Wünsche von seinem Wunschzettel erfüllt worden sind.

Warum es ok ist, wenn Kunden sich alles wünschen

Stellen Sie sich vor, Sie planen den Innenausbau Ihrer neu erworbenen Eigentumswohnung. Wie gehen Sie vor? Vermutlich besichtigen Sie Bad- und Küchenausstellungen, sehen sich Parkett- und Fliesenmuster an, wälzen Tapetenbücher und stöbern durch die Einrichtungspaläste des Möbelhandels. Sie merken vor, was Ihnen gefällt, besprechen mit dem Architekten das Versetzen der ein oder anderen Wand, benötigen zusätzliche Elektroinstallationsarbeiten. Auch Sie spielen in dieser Planungsphase das „Wünsch dir was“-Spiel – solange, bis Sie alles aufaddiert haben und sich Ihre daraufhin einsetzende Schnappatmung wieder beruhigt hat. Warum sollte es bei Softwareprojekten anders sein? Die erste Phase ist immer geprägt vom Maximum der Begehrlichkeiten.

Warum es auch ok ist, wenn sie nicht alles bekommen

Wenn Sie ehrlich mit sich sind, erwarten Sie gar nicht, dass Ihre neue Wohnung sofort mit Luxusbad, Traumküche und ausgesuchten Designermöbel ausgestattet ist. So geht es auch dem Fachbereich Ihres Kunden bei der Zusammenstellung der Softwareanforderungen.

Der Fachbereich weiß sehr wohl, dass er erst einmal alles aufschreibt, was er gerne hätte. Er weiß, dass dies der Ausgangspunkt und nicht das Ergebnis ist. Es ist ein Spiel. Nach außen gibt der Kunde Ihnen vor, dass alle Anforderungen immens wichtig sind, und wenn auch nur die kleinste Funktion fehlt „ist das System für uns ohne Nutzen“. Aus der Verhandlungssprache übersetzt heißt das: „… dann bekommen Sie den Auftrag nicht.“ Das sind Nebelkerzen, durch die Sie sich nicht einschüchtern lassen sollten. Kümmern Sie sich stattdessen um die eigentliche Aufgabe, die vor Ihnen liegt:

Finden Sie heraus, welche Punkte aus der Wunschliste Ihres Kunden wirklich wichtig sind! Machen Sie einen Vorschlag, der Ihrem Kunden möglichst viel des erwarteten Nutzens bringt, ohne ihn wirtschaftlich und/oder organisatorisch zu überfordern.

Wie erfahren wir, welche Anforderungen wirklich wichtig sind?

Stellen Sie Fragen. Auch wenn Sie sich im Vorfeld ein eigenes Bild gemacht haben, es ist immer eine gute Idee, den Auftraggeber zu fragen. Beginnen Sie bei der inhaltlichen Beschreibung durch den Kunden und fragen Sie nach Zielen und dem strategischen oder wirtschaftlichen Nutzen.

  • Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Vorhaben?
  • Was soll nach der Einführung besser sein als derzeit?
  • Welche strategische Dimension bedient das geplante System?
  • In welchem Umfang erwarten Sie einen wirtschaftlichen Nutzen?
  • Wie häufig, tritt ein Ereignis ein, für das die Funktionalität entwickelt werden soll?
  • Was passiert, wenn die gewünschte Funktion nicht da ist? Wie behilft man sich?

Mit diesen gezielten Fragen ordnen Sie das Vorhaben in die Unternehmensentwicklung und -steuerung des Auftraggebers ein. Das liefert Ihnen die Messlatte, wenn Sie später Ihren Vorschlag für den Projektumfang erarbeiten. Außerdem können Sie so – schon während der Diskussion im Workshop – zwischendurch die Frage einstreuen, welchen Beitrag die gerade diskutierte Anforderung zu den besprochenen Zielen leistet, und damit unrealistische oder einfach unsinnige Anforderungen im Keim ersticken.

Fassen Sie die Antworten des Kunden mit Ihren eigenen Worten zusammen. Sie erhalten dann entweder ein „Ja, stimmt genau“ oder eine Korrektur. Beide Möglichkeiten erhöhen Ihre Sicherheit, dass beide Gesprächspartner von derselben Sache reden.

Während sich das Team durch die inhaltlichen Anforderungen arbeitet, ist es es Ihre Aufgabe als Projektleiter und Moderator der Anforderungsaufnahme dafür zu sorgen, dass Bedarfe konkret, vollständig und kritisch erhoben werden. Jede später umgesetzte Anforderung kostet Geld, kostet Entwicklungszeit und bringt Komplexität und damit zusätzliches Risiko. Dabei sollten Sie als Moderator auch die Rolle des Spielverderbers einnehmen. Hinterfragen Sie hartnäckig die Notwendigkeit der einzelnen Anforderungen für das Gelingen des Vorhabens.

Organisation statt Software

Es muss nicht alles in Software gegossen werden. Einiges lässt sich auch organisatorisch regeln und durchführen. Oft ist es eine Frage der Häufigkeit eines Ereignisses.

  • So können Sie einen Kundenstamm mit 500 Einträgen einmal pro Monat durchaus von Hand bereinigen. Wenn Sie über 5.000.000 Kunden verfügen, brauchen Sie dafür eine Software.
  • Das Versenden von Postbriefen beim Erreichen einer neuen Treuestufe können Sie im Office machen lassen, wenn es zwei Briefe pro Woche sind. Bei 2.000 am Tag brauchen Sie eine Software dafür.
  • Eine Auswertung lässt sich vielleicht einfach mit Excel in eine schöne Form bringen, die Programmierung von Kuchendiagrammen im neuen System mag Wochen dauern.

Selbst wenn Sie überzeugt sind, dass eine Anforderung unvernünftig ist, sollten Sie wertende Beiträge in der Form „Das ist doch Unfug!“ oder „Ich finde es unvernünftig, wenn wir das umsetzen“ vermeiden. Trainieren Sie Fragen, die den Fachbereich auf Kundenseite selbst erkennen lassen, dass er vielleicht auf das ein oder andere goldene Henkelchen verzichten kann. Bewährt haben sich dabei Fragen wie:

  • Wie oft wird das Feature benutzt?
  • Was passiert, wenn es nicht da ist?
  • Wie lösen Sie das heute?
  • Mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft: Welche Funktion sollen wir dafür weglassen?
  • Wie sehen Sie diese Anforderung vor dem Hintergrund des besprochenen Budgetrahmens?

Mit solchen Fragen sortieren sich manche Anforderungen wie von selbst auf ihren angemessen Prioritätenrang.

Wie sortieren wir Anforderungen aus?

Am Ende eines Workshops werden voraussichtlich immer noch zu viele Anforderungen vorhanden sind. Und gleichzeitig bleiben offene Fragen zurück. Die offenen Fragen klären Sie im Nachgang telefonisch.

Ein guter Workshop zur Bedarfsanalyse liefert die folgenden Ergebnisse:

  • fachliche Anforderungen mit einer vom Auftraggeber versehenen Priorisierung;
  • technologische Bedarfe, speziell Aspekte der Integration in die bestehende IT-Landschaft;
  • Budgeterwartungen;
  • terminliche Notwendigkeiten;
  • eine konkrete Einordnung aller Wünsche in die Ziele und strategische Ausrichtung des Kunden;
  • hinsichtlich der aufwendig umzusetzenden Anforderungsaspekte:
    Angaben zu Durchsatz und Häufigkeit („Wie oft wird die Funktion benutzt?“ und „Was passiert, wenn sie nicht da ist?“);
  • Die Verortung in der Bedürfnispyramide des Entscheiders.

Anhand dieser Informationen entsteht in der Nachbereitung eine Handvoll (typisch sind zwei bis fünf) Lösungsszenarien. Die Ansätze sind dann valide, wenn sie von den Notwendigkeiten beim Kunden getrieben sind. Dabei spielen dessen Ziele, die Rahmenbedingungen wie Zeit, Budget und dessen Bedürfnispyramide eine wichtige Rolle.

Diese Szenarien müssen anschließend bewertet werden. Je nachdem, wie vertraut Sie mit Ihrem Kunden sind, beziehen Sie Vertreter der Auftraggeberseite mit ein. Bewertungskriterien sind:

  • Abbildbarkeit der erfolgskritischen Geschäftsprozesse
  • Integrationsfähigkeit in die IT-Landschaft
  • Performance
  • Ergonomie
  • Termintreue
  • Budgettreue
  • Bedürfnispyramide des Entscheiders

Je näher ein Szenario der hundertprozentigen Erfüllung in diesen Bewertungsdimensionen kommt, umso passgenauer und wahrscheinlicher ist es, dass es vom Kunden akzeptiert werden.

In der Praxis werden sich die Szenarien im Erfüllungsgrad der einzelnen Entscheidungsdimensionen unterscheiden. Darstellen lassen sich die Ergebnisse sehr gut in Form eines Spinnendiagramms.

Szenarien, die den Kunden zufrieden stellen

Spätestens bei der Diskussion der Szenarien kommt Ihr Kunde wieder ins Spiel. Stellen Sie die verschiedenen Szenarien vor, erläutern Sie die Vor- und Nachteile. Seien Sie dabei ehrlich und vollständig. Ihre Argumentation nimmt die Aussagen des Kunden aus dem Anforderungsworkshop auf, die Sie über Ihre Fragen nach den Zielen der einzelnen Anforderungen gewonnen haben. Die folgenden Formulierungen nehmen die Bedürfnisse Ihres Kunden sprachlich auf:

  • „ …, weil Ihnen der Einführungstermin sehr wichtig war.“
  • „…, damit die Bedienung besonders einfach bleibt.“
  • „…, um Ihnen frühzeitig die Sorge zu nehmen, dass …“
  • „Mit dem Ziel, die operativen Kernprozesse schnell produktiv zu setzen.“

Sie finden für Ihren konkreten Fall leicht die richtige Formulierung, wenn Sie die Szenarien unter den Maßgaben des Kunden entwickelt haben. Gehen Sie offen in die Diskussion, aber benennen und begründen Sie Ihre bevorzugte Lösung. Womöglich haben Ihre Gesprächspartner Ideen, auf die Sie nicht gekommen sind. Nehmen Sie diese auf. Ein konstruktives Ringen um die beste Lösung schweißt Sie und Ihren Kunden zusammen. Und die Chancen, dass Ihr Auftraggeber dem endgültigen Vorschlag zustimmt, steigen, wenn er darin auch seine eigenen Impulse wiedererkennt.

Welche Fragen passen zu Ihnen? Und wie finden Sie die für Sie richtigen Formulierungen? Dazu gibt unsere Übung einige Impulse.

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